29. November 2022
Seit dem russischen Angriffskrieg hat sich das Leben und Arbeiten ukrainischer Journalistinnen und Journalisten nachhaltig verändert. Yulia Abibok schreibt nicht nur, sondern forscht auch über Fluchtbewegungen und den Holocaust. Im Interview zur Lage des Journalismus in der Ukraine erzählt sie, welchen Beitrag sie als Wissenschaftlerin und Journalistin im Krieg leistet – und welchen das westliche Publikum.
Frau Abibok, was beschäftigt Sie momentan?
Die Frage, ob und wie ich im Dezember in die Ukraine reisen kann, um meine Bekannten zu besuchen und nebenbei zu arbeiten. Es wird dann sehr kalt sein, vor allem in Kyjiw. Momentan ist unklar, ob es zu dem Zeitpunkt weiterhin genug Strom geben wird. Schon jetzt haben manche Bürgerinnen und Bürger über den Tag verteilt stundenlang keinen Strom und kein Internet. Ich persönlich habe sogar weniger Angst vor den Bomben als vielmehr vor der Kälte. Außerdem kann ich meine Arbeit in der Ukraine nicht fortführen, sollte es keinen Strom mehr geben. Deshalb denke ich jetzt die ganze Zeit darüber nach, was ich hier besorgen kann, um besser vorbereitet zu sein.
Sie leben seit diesem September in Wien. Wie hat sich durch diesen Umzug Ihr Alltag verändert?
Beruflich gesehen nicht viel, weil ich als Wissenschaftlerin nie oft in der Ukraine blieb, sondern oft gereist bin. Aber die Alltagsroutine hat sich natürlich drastisch verändert. Vor Beginn der Invasion begann ich meinen Tag damit, Kaffee zu trinken und Netflix zu schauen. Jetzt gehe ich morgens als Allererstes auf Telegram, weil dort die Nachrichten sehr aktuell und kurz zusammengefasst sind. Mein Tag beginnt mit Nachrichten und endet mit ihnen. Ich frage auch immer bei meinen Freunden und Bekannten in der Ukraine nach, ob es ihnen gut geht. Da ist wenig Zeit für Entspannung. Dieser Zustand erinnert mich sehr an die erste Zeit des russisch-ukrainischen Konfliktes 2014.
Haben Sie sich gut in Wien eingelebt?
Ich bin nicht zum ersten Mal in Wien, wegen meiner Forschung war ich bereits 2020 dort. Meine Reise fiel genau in die Zeit der ersten Corona-Welle, deshalb war ich die meiste Zeit im Home-Office. Da spürte ich natürlich fast keinen Unterschied zu meinem Büro in Kyjiw. Was dieses Mal sehr positiv ist, ist der Austausch mit Forschenden aus der ganzen Welt.
Sie sind sowohl Journalistin als auch Wissenschaftlerin. Welchen Beruf üben Sie momentan mehr aus?
Momentan arbeite ich an einem Buch über den Holocaust, das ist sowohl journalistische als auch wissenschaftliche Arbeit. Aber ich würde sagen, dass ich gerade mehr als Forscherin wirke.
Was sind die Themen, mit denen Sie sich beruflich befassen?
Yulia Abibok ist 36 Jahre alt. Neben ihrer freien journalistischen Arbeit – darunter für die Wochenzeitung “Kyiv Post” und die Nachrichten-Website “Dzerkalo Tyzhnia” – ist sie auch als Wissenschaftlerin tätig. Momentan forscht sie im Rahmen eines Stipendiums am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien und an der Central European University zu den Themen Holocaust und Fluchtbewegungen. Im Herbst 2022 unterstützte sie als Expertin eine DJS-Klasse bei der Entwicklung eines Formats zu Propaganda und Desinformation im Krieg. Foto: privat.
Eines davon ist die Situation von Binnenvertriebenen in der Ukraine. Das ist ein großes, kompliziertes Thema, weil es zwei Wellen der Flucht gab – 2014 und 2022. Die zweite Welle ist deutlich größer und erstreckt sich über ein ausgedehntes Territorium. Meine Forschung vergleicht die beiden Wellen und versucht Lösungen für die Probleme zu finden, die durch diese entstanden sind. Das Thema, mit dem ich mich hier in Wien jedoch am meisten beschäftige, ist der Holocaust.
Welchen Beitrag leisten Sie als Wissenschaftlerin in der aktuellen Situation?
Am Anfang des Krieges war es mir persönlich wichtig, über meine Heimatregionen zu sprechen, Donezk und Luhansk. Aber ich sehe mich nicht in der Position und Lage, den Krieg irgendwie zu beeinflussen. Als Wissenschaftlerin und Journalistin muss ich meine Neutralität wahren – da ist es vielleicht sogar von Vorteil, dass ich nicht in der Ukraine geblieben bin und von dort aus arbeite. Gleichzeitig ist es wichtig, in die Ukraine zu reisen, weil man aus der Distanz manche Dinge nicht versteht oder wichtige Details nicht mitbekommt. Ich sehe meine Aufgabe momentan vor allem darin, der Zivilbevölkerung zu helfen – gerade den Binnenvertriebenen. Ich kann außerdem viel mehr bewirken, indem ich lokale Behörden berate und beeinflusse.
Leisten Sie dazu als Journalistin einen größeren Beitrag als in der Wissenschaft?
Nein, weil ich gerade nicht viel journalistisch arbeite. Andere Journalistinnen und Journalisten – gerade die aus dem Ausland – haben mehr Möglichkeiten als ich, einen Beitrag zu leisten. Ukrainische Behörden brauchen internationale Aufmerksamkeit, deshalb haben es beispielsweise die New York Times oder Washington Post leichter, an Informationen zu gelangen. Ich habe natürlich ein kleineres Publikum, da ich mich vor allem mit Forschung befasse. Wissenschaft ist sehr präzise, aber auch sehr langsam.
Welche Dinge beeinflussen die Arbeit von ukrainischen Journalistinnen und Journalisten zusätzlich?
Vor allem das begrenzte Budget der Redaktionen. Mit weniger finanziellen Möglichkeiten ist es schwer, innerhalb des Landes zu reisen und von anderen Orten zu berichten. Grundsätzlich werden die ukrainischen Journalisten und Journalistinnen mit der Zeit schlicht erfahrener, weil sie nun schon so lange im Krieg leben.
Wie können Menschen aus Deutschland den Journalismus in der Ukraine unterstützen?
Die Menschen aus Deutschland und dem Westen haben dem ukrainischen Journalismus schon sehr geholfen! Durch die vielen Spenden konnten wir uns viel technisches Equipment holen, was in dieser schwierigen Situation eine große Bereicherung war und im Vergleich zu Beginn des Krieges eine deutliche Verbesserung erzeugt hat. Ein viel größeres Problem stellt nun allerdings das fehlende Internet dar. Dadurch fällt es schwer, Nachrichten aus anderen Gebieten zu erhalten oder von dort zu berichten. Dafür gibt es jedoch wenig Lösungen.
Worauf sollten deutsche Medien in ihrer Berichterstattung achten?
Es ist wichtig, nicht das Interesse am Krieg zu verlieren. Sich nicht daran gewöhnen, nicht die Aufmerksamkeit verlieren und stets weiter zeigen, was hier gerade passiert. Es hilft, immer neue Blickwinkel zu finden, neue Aspekte zu beleuchten und so das Bewusstsein der Menschen weiter hochzuhalten. Leider ist das aber ziemlich schwierig: Bei manchen Themen, wie beispielsweise der Lage im Osten der Ukraine, haben Journalisten und Journalistinnen jahrelang jeden Blickwinkel beleuchtet, jeden neuen Zugang genutzt und so auf verschiedenste Weise über die Probleme berichtet. Trotzdem gewöhnen sich die Menschen mit der Zeit an die Berichte – das ist nicht immer die Schuld des Journalismus.
Sehen Sie diesen Interessenverlust auch aktuell?
Im Februar, als die Invasion startete, hatten die Websites der ukrainischen Behörden so viele Zugriffe wie noch nie. Und obwohl der Krieg seitdem nicht aufhörte und sich stetig weiterentwickelte, sind die Zugriffsraten konstant zurückgegangen. Die Menschen gewöhnen sich an die neuen Lebensumstände. Das ist normal und menschlich.
Wie sind Sie persönlich in den Journalismus gekommen?
Ich bin auf keine Journalistenschule gegangen, sondern ich habe in meinem Studium eine Art journalistische Fachrichtung belegt. Im Unterschied zu Schulen wie der DJS war diese Ausbildung aber sehr theoretisch. Anstatt zu arbeiten oder praktische Erfahrungen zu sammeln, haben wir alles nur aus Büchern und in Seminaren gelernt. Deshalb habe ich das Meiste in meinem zweiten Jahr gelernt, in dem ich dann in Vollzeit als Journalistin gearbeitet habe.
Welchen Tipp haben Sie für junge Journalistinnen und Journalisten?
Ich habe das Gefühl, dass die allermeisten eine Art “Star-Krankheit” haben. Die sollten wir ablegen, denn im Journalismus geht es um die Sache, und nicht um uns als Person. Wir sollten nicht ständig im Vordergrund stehen, vor allem, wenn wir gerade anfangen zu berichten. Also ist es gerade für junge Journalistinnen und Journalisten wichtig, nicht bei den ersten Veröffentlichungen zu glauben, dass man von nun an nicht mehr anderen Leuten zuhören oder Kritik akzeptieren muss.
(Interview: Maria Mitrov und Vinzent Tschirpke)
Das erste Interview in unserer Serie führten wir mit Lina Kuschtsch, das zweite Interview mit Andrii Ianitskyi.
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