• Social-Links

  • „Ich musste marschieren“

    Als erste Frau moderierte Ulrike Wolf, vierte Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule, ab 1985 gleichberechtigt neben einem männlichen Kollegen die „Tagesthemen“. Für den deutschen Fernsehjournalismus war das ein Meilenstein, für Wolf war es erst der Beginn einer erfolgreichen Karriere: Sie wurde Chefredakteurin beim NDR-Fernsehen, nach der Wende wurde sie Leiterin des neu gegründeten MDR-Landesfunkhauses in Sachsen. Im Interview spricht die sie über den schwierigen Neustart nach der Familienpause, über Kritik an ihrer Bericht­erstattung zur Barschel-Affäre und über die Verträglichkeit von Journalismus und politischem Engagement.

    Frau Wolf, von 1985 bis 1987 präsentierten Sie im Wechsel mit Hanns Joachim Friedrichs die „Tagesthemen“. Schauen Sie die Sendung heute noch jeden Abend?

    Ulrike Wolf: Nein, das mache ich nicht mehr. Aber eine von beiden schaue ich immer: Entweder das heute-journal oder die „Tagesthemen“. Nur manchmal, muss ich sagen, fehlt mir da die Abwechslung. Dann sehe ich gelegentlich sehr gern das RTL Nachtjournal. Die haben auch mal eine andere Themenauswahl oder trauen sich, mit einem Stück aufzumachen, das nicht bedeutungsschwer schon den ganzen Tag gelaufen ist.

    Marietta Slomka, Caren Miosga, Ilka Eßmüller: Frauen als Nachrichtenmoderatorinnen sind mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. 1985 war das anders. In dem Jahr wurden Sie die erste Moderatorin, die gleichberechtigt im Wechsel mit einem männlichen Kollegen die „Tagesthemen“ präsentierte. Wie waren damals die Reaktionen?

    Die waren absolut wohlmeinend. Das öffentliche Interesse habe ich aber unterschätzt. Zunächst haben sich die Frauenzeitschriften auf mich gestürzt. Denn erstmal war ich eine Frau. Und dann noch Mutter von drei Kindern. Da hieß es dann: „Wie machen Sie das? Wie geht das?“

    Und wie ging es?

    Es ging, weil es gehen musste. Nach Zeitungsvolontariat und der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule arbeitete ich ab 1967 als Jungredakteurin bei der „Tagesschau“. Dort schied ich aber drei Jahre später schon wieder aus, denn inzwischen war mein ältester Sohn geboren. 1976 dann, ich hatte gerade mein drittes Kind bekommen, krachte es bei uns wirtschaftlich fürchterlich. Tja, was sollte ich nun machen? Mir war klar, ich musste unbedingt wieder einen festen Job finden, um über die Runden zu kommen. Es war eine ganz heikle Situation. Da bin ich zur „Tagesschau“ und habe gesagt: „Hier bin ich, ich würde gerne wieder. Habt ihr was für mich?“ Es dauerte nicht lange, dann bekam ich zunächst eine befristete Stelle. Später wurde dann eine neue Position frei und von da an ergaben sich immer weitere Möglichkeiten.

    Sie haben bei der ARD Karriere gemacht. Vielen anderen Journalistinnen Ihrer Generation ist die Rückkehr in den Beruf nach der Familiengründung nicht gelungen.

    Ja, das habe ich immer wieder erlebt. Frauen scheiden häufig während der Kinderzeit aus und finden später nicht mehr recht den Anschluss. Nach der Familienpause wieder einzusteigen hieß zudem bei vielen: Besser nur eine halbe Stelle, da sind ja die Kinder. Kinderbetreuung – ein Riesenthema! Und: Mein Mann hat ja einen tollen Job, da reicht das. Das habe ich auch bei mir selbst beobachtet. Meine Arbeit hat mir immer sehr viel Spaß gemacht. Aber mit drei Kindern hätte ich es wohl nicht so durchgezogen, wenn ich den Druck nicht gehabt hätte. Ich musste marschieren.

    Und Sie sind sehr erfolgreich marschiert: Im Herbst 1987 wurden Sie Chefredakteurin des Bereichs „Politik und Zeitgeschehen“ beim NDR. Gleich nach Ihrem Wechsel kam es in Schleswig-Holstein zu einem politischen Skandal.

    Ja, das war Uwe Barschel in der Badewanne – ein dramatischer Fall und eine große journalistische Herausforderung, die mich noch lange begleitet hat.

    Der Tod des christdemokratischen Ministerpräsidenten war der Höhepunkt der sogenannten Barschel-Affäre. Ihnen wurde damals unter anderem vom Spiegel vorgeworfen, Sie hätten die Karriere beim NDR Ihrem CDU-Parteibuch zu verdanken. Später hieß es, Sie hätten im Fall Barschel parteiisch und unkritisch berichtet. Wie sehen Sie diese Vorwürfe heute?

    Das war eine schwierige Zeit. Kritik gehört dazu, damit muss man leben. Ich empfand die Vorwürfe aber nicht als gerechtfertigt. Mein einziger Fehler war: Ich habe an das Ehrenwort eines deutschen Politikers geglaubt. Ich sehe die berühmte Pressekonferenz noch vor mir. Ich habe dem Mann geglaubt, was er gesagt hat. Ich wusste es nicht besser, im Gegensatz zu einigen, die zu späterer Zeit noch über die Affäre gestürzt sind. Und ich bin natürlich, weil man um mein parteipolitisches Engagement wusste, besonders scharf kritisiert worden.

    Objektivität und Unparteilichkeit gelten als wichtige journalistische Gebote. Im Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind sie sogar festgeschrieben. Geht journalistisches Arbeiten Ihrer Meinung nach mit der Mitgliedschaft in einer Partei zusammen?

    Ja, das geht, aber es muss transparent sein. Ich bin 1969 nach dem Prager Frühling in die CDU eingetreten. Und warum hätte ich später austreten sollen? Ich habe mir schlicht ein Recht herausgenommen, das jedem Bürger zusteht. Auch Journalisten dürfen eine Meinung haben. Natürlich muss man sicherstellen, dass man in seiner journalistischen Arbeit glaubwürdig bleibt. Man muss aufpassen, dass man nicht vereinnahmt wird oder parteiisch berichtet. In der Berichterstattung hat die Meinung nichts zu suchen. Im Kommentar darf sie klar werden. Aber auch hier muss man sie argumentativ belegen. Ein Kommentar muss schlüssig sein, sonst taugt er nichts.

    1991 führte Ihre Karriere Sie nach Dresden: Nach der Wiedervereinigung entstand der Mitteldeutsche Rundfunk, Sie übernahmen die Leitung des neuen Landesfunkhauses in Sachsen. Ein Kulturschock?

    Ich wurde 1944 in Bautzen geboren. 1945 sind meine Eltern mit mir vor der Roten Armee geflohen, so bin ich dann im Sauerland gelandet. Ich hatte bis zu meinem Wechsel zum MDR nie im Osten gelebt, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, nicht in fremde Gefilde zu kommen. Das war natürlich etwas naiv. Es war schon eine Menge anders, auch die Mentalität der Menschen. Das habe ich bei der Arbeit gemerkt: Wir haben oft ausführlich und sehr kritisch über Stücke und Sendungen diskutiert. Mit der manchmal etwas flapsigen Tonart konnten viele Mitarbeiter aus Ostdeutschland aber zunächst gar nicht umgehen.

    Vielleicht wollten sie sich nicht von den neuen Kollegen aus dem Westen bevormunden lassen.

    Ja, das kam sicher hinzu. Da waren auch einige dabei, die in der DDR eine ganz andere Karriere erwartet hätte. Manche hatten auch gehofft, dass auf die Wende ein besserer Sozialismus folgen würde. Aber die meisten Mitarbeiter, darunter viele junge Leute, haben die neue Situation als Chance gesehen und engagiert losgelegt. Man muss sich vorstellen: Am 1. Januar 1992 sollte Sendestart sein. Als ich im Herbst 1991 zum MDR kam, gab es in Dresden kein Fernsehstudio, kein Funkhaus, in Leipzig gab es gar nichts. Die nötigen Kapazitäten zu schaffen war eine große Herausforderung. Zum Glück hatten wir erfindungsreiche Mitarbeiter. Die haben uns zum Beispiel aus zwei alten Karren und den technischen Gerätschaften einen Übertragungswagen selbst gebaut. Nach heutigen Brandschutzkriterien wäre das alles nie genehmigt worden. Aber wir haben gesendet. Eine unglaubliche Zeit, ein großes Glück dabei gewesen zu sein.

    Das Gespräch führte Lale Artun.