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  • „Da saßen die ideologischen Betonköpfe“

    Peter Pragal ist DDR-Kenner. Er war Absolvent in der dritten Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule und verlegte als erster westdeutscher Korrespondent seinen Wohnsitz mit Familie komplett nach Ostberlin. Dort berichtete er insgesamt zwölf Jahre über das Geschehen in der DDR. Den Mauerfall am 9. November 1989 erlebte er als Augenzeuge und Stern-Korrespondent am Grenzübergang Bornholmer Brücke. Ein Gespräch über die Zeit in der DDR, den Mauerfall und verwanzte Wohnungen.

    Herr Pragal, wie kamen Sie dazu, als Journalist über die DDR zu berichten?

    Peter Pragal: Meine Frau und ich hatten 1966 geheiratet. Unseren Hochzeitsurlaub verbrachten wir in Bulgarien am Goldstrand, wo es für Westdeutsche sehr preiswert war. Dort lernten wir einige DDR-Bürger kennen. Wir wohnten zwar in verschiedenen Hotels, konnten uns aber dennoch austauschen. Mit einer Urlauberin hatten wir engeren Kontakt. Der blieb auch fortan bestehen. Wenn ich in West-Berlin beruflich zu tun hatte, fuhr ich mit Tagesvisum nach Ost-Berlin und besuchte sie. Mein Blick
    für die dortigen Verhältnisse wurde dadurch geschärft. Im Übrigen war ich als gebürtiger Schlesier schon immer am Osten interessiert.

    Wie ging es dann weiter?

    Nach der Journalistenschule wurde ich Redaktionsmitglied der Süddeutschen Zeitung. Zunächst in der Bayernredaktion, später als politischer Reporter. Nach Abschluss des Grundlagenvertrages 1972 zwischen beiden deutschen Staaten und
    der Zusatzvereinbarung über einen Journalistenaustausch sah ich die Chance, beruflich nach Ost-Berlin zu wechseln. Die Chefredaktion unterstützte meinen Wunsch und stellte einen Antrag auf Akkreditierung. 1973 kam die Zusage aus Ost-Berlin. Umgezogen sind wir im Februar 1974. Die Wohnung in einem Plattenhochhaus wurde uns zugewiesen und war, wie sich später herausstellte, mit Abhöreinrichtungen „verwanzt.“

    In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Umzug vor allem für Ihre Familie eine Belastung gewesen sei. Wieso?

    Den schwersten Part hatte meine Frau, die sich in komplett neuen Verhältnissen  zurechtfinden musste. Sie war vorher berufstätig, nun war sie allein mit unseren beiden 1971 und 1973 geborenen Kindern in einer fremden Stadt und einer ungewohnten Umgebung. Ich selbst war viel unterwegs und bin kreuz und quer durch die DDR gefahren.

    Ging das denn so einfach?

    Nein, überhaupt nicht. Wenn man von Ost-Berlin beruflich in die DDR, also etwa nach Dresden oder Rostock fahren wollte, musste man sich 24 Stunden vor Antritt der Reise beim DDR-Außenministerium abmelden. Bei privaten Fahrten haben wir uns nicht daran gehalten. Das führte zu einem permanenten Konflikt mit den Behörden. Abgesehen davon war es auch sonst nicht einfach, aus der DDR zu berichten.

    Inwiefern?

    Man musste für alles einen Antrag stellen, sei es für eine Reportage über einen Kindergarten. Der wurde schriftlich beim Außenministerium eingereicht und landete am Ende beim Zentralkomitee in der Abteilung Agitation. Da saßen die ideologischen Betonköpfe. Die haben alles abgelehnt, was aus ihrer Sicht zu einer kritischen Berichterstattung führen könnte. Wir wurden ständig beobachtet und standen unter totaler Kontrolle. Die Stasi schreckte auch nicht davor zurück, Büros und Wohnungen der Korrespondenten heimlich zu durchsuchen. Nach dem Mauerfall haben wir das in unserer Stasi-Akte festgestellt.

    Sie wussten, dass die Lebensbedingungen in Ostdeutschland weniger komfortabel sein würden als in der Bundesrepublik. Warum sind Sie dennoch nach Ost-Berlin gezogen? Sie hätten doch auch wie andere akkreditierte Kollegen in West-Berlin wohnen können.

    Auch für die bestand Residenzpflicht. Das heißt, alle mussten in der „Hauptstadt der DDR“ eine Wohn- und Büroadresse haben. Das Gros der Kollegen wohnte schon vor der Akkreditierung in West-Berlin. Sie haben ihre Wohnung beibehalten. Ich aber kam aus München und meinte, die  Lebensbedingungen der Menschen, ihren Beruf und ihren Alltag besser beschreiben zu können, wenn ich mitten unter ihnen wohne. Während manche Kollegen über die innerstädtische Grenze abends nach Hause fuhren, trafen wir uns mit Ost-Berliner Freunden, gingen ins Kino oder ins Theater.
    Wir lernten viele Leute kennen, auch deshalb, weil wir als Familie dort lebten. Das ermöglichte mir Blicke hinter die Kulissen, die ich sonst nicht bekommen hätte.

    1989 erlebten Sie den Mauerfall aus nächster Nähe. Wie war das?

    Da war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zunächst war ich in der Pressekonferenz von Günter Schabowski und sagte danach zu einem Kollegen:
    „Morgen müssen wir früh aufstehen“. Denn der SED-Funktionär hatte von Genehmigungen gesprochen, die von der Volkspolizei kurzfristig erteilt würden. Damit, dass am selben Tag noch was passiert, rechnete ich nicht. Ich besuchte einen Freund in Pankow und erfuhr bei ihm durch einen Telefonanruf, dass in der Nähe des Grenzübergangs Bornholmer Straße seltsame Dinge passierten. Dann bin ich dorthin gefahren.

    Was sahen Sie da?

    Eine riesige Schlange von Trabbis. Die Schlagbäume aber waren noch unten. Ich hätte mit meinen besonderen Papieren als Korrespondent eigentlich passieren können, aber da war zunächst kein Durchkommen. Ich habe dann gewartet, beobachtet und mit Leuten gesprochen. Irgendwann wurden die ersten Autos durchgelotst. Später habe ich erfahren, dass diese Leute einen Stempel in ihren Personalausweis bekamen, der ihnen eine Wiedereinreise untersagt. Ich bin dann auf die Westseite gefahren, da stand eine Telefonzelle. Von dort habe ich in der Hamburger Redaktion angerufen und gesagt, dass sie Fotografen, die bereits in West-Berlin waren, zum Übergang schicken sollen, weil die Grenze offen sei. Die in Hamburg konnten das gar nicht glauben. Die sahen im Fernsehen einen anderen Grenzübergang, der noch geschlossen war.

    Sie haben also einen der geschichtsträchtigsten Momente der deutschen Geschichte hautnah miterlebt. Wie sind Sie eigentlich zum Journalismus gekommen?

    Journalist wollte ich schon immer werden. An meinem Gymnasium habe ich eine Schülerzeitung mit dem Namen „Strebergarten“ gegründet. In den Ferien habe ich bei der örtlichen Zeitung hospitiert. Ich habe an der LMU Zeitungswissenschaften, später Kommunikationswissenschaften studiert. Dann entdeckte ich die Ausschreibung der Deutschen Journalistenschule. Wir mussten eine Reportage schreiben, einen Kommentar und den Lebenslauf. 400 Leute haben sich beworben, 60 wurden nach München zu einer Prüfung eingeladen. Nach einigen Wochen bekam ich die Zusage, dass ich als einer von 15 Bewerbern in die dritte Lehrredaktion aufgenommen worden sei. Per Telegramm.

    Das Interview führte Jonas Kraus.