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  • Lore Schutz-Wild

    „Du musst dich wehren, verdammt nochmal!“

    Lore Schultz-Wild war in der dritten Lehrredaktion der Deutschen Journalisten­schule. Sie hat als freie Journalistin gearbeitet, Sachbücher veröffentlicht und sich in Verbänden wie dem Europäischen Schriftstellerkongress und der VG Wort engagiert. Ein Gespräch über eine Bewerbungsreportage aus Washington, sexistische Dozentensprüche und ein Babybuch.

    Sie haben 1964 die Zusage der Deutschen Journalistenschule bekommen. Ist damals so etwas wie ein langjähriger Traum für Sie in Erfüllung gegangen?

    Lore Schultz-Wild: Nein, so kann man das nicht sagen. Natürlich habe ich mich riesig gefreut über die Zusage, aber direkt nach dem Abitur habe ich erst mal zwei Semester in Grenoble studiert und eine Prüfung als Übersetzerin/Wirtschaftskorrespondentin bestanden. Dann bin ich regelrecht in die USA ausgewandert, habe dort gejobbt und weiter Sprachen studiert. Erst dort wurde mir klar, dass ich Journalistin werden will. Eigentlich wollte ich dazu an einer der renommierten Unis studieren, die ihre eigenen Fernsehstudios und ihr eigenes Radio hatten. Das ging aber leider nicht so gut.

    Warum nicht?

    Weil das sehr teuer war, genau wie heute. Weil ich nie in den USA zur Schule gegangen bin, hatte ich andererseits kaum eine Chance, ein Stipendium zu bekommen. Ich bin trotzdem die Ostküste rauf und runter, um mich an den verschiedenen Unis vorzustellen. Eine der Frauen an der Wesleyan Universität hat nach der Absage zu mir gesagt: Du kommst doch aus Deutschland, warum gehst du denn nicht nach München? Dort gibt’s eine fabelhafte Journalistenschule, die ist ganz neu – aber du musst dich jetzt sofort bewerben! Da saß ich also in Washington und habe meinen Vater angerufen. Es war Herbst und in München wurden gerade die Prüfungsaufgaben herausgegeben. Die hat er für mich besorgt und ich habe meine Geschichte über den Bahnhof von Washington DC geschrieben, wo fast gar keine Züge an- und abfuhren, aber viele andere interessante Dinge passierten.

    Die Reportage wurde dann so gut, dass Sie zu den Auswahltagen in München eingeladen wurden. Sie mussten also wieder nach Deutschland zurückfliegen.

    Ja. Als die Einladung kam dachte ich einen Moment: Oh Gott. Mein ursprünglicher Plan war ja, in den USA zu bleiben. Bei der mündlicher Prüfung waren wir 90 Leute und das Ganze dauerte zwei Tage. Wir haben uns schon damals sehr gut gegenseitig geholfen. Die Hilfe hat sogar so weit gereicht, dass ich zum Schluss genommen wurde.

    Sie waren in der dritten Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Wie war das in den frühen 60er Jahren, wenn man als Frau in den von Männern dominierten Journalismus wollte?

    Das war damals noch eine eher ungewöhnliche Berufswahl. Wir waren in unserem Jahrgang auch nur drei Frauen und zwölf Männer. Tatsächlich aber habe ich nie so sehr die Hürden, sondern immer die Chancen gesehen. Das habe ich sicherlich auch meinen Eltern zu verdanken. Die haben mich so unterstützt, dass ich mir eigentlich alles zugetraut habe. Deswegen hatte ich auch nie Zukunftsängste. Immer habe ich gedacht und erlebt: Irgendwie geht das schon.

    Heißt das, dass Sie als Frau im Journalismus nie anders behandelt wurden als Ihre männlichen Kollegen?

    Naja… Ausgerechnet einer unserer DJS-Dozenten hat lauthals verkündet, er werde dafür sorgen, dass hier künftig keine Frauen mehr zugelassen werden. Die würden eh nur schwanger, alles reine Zeit- und Geldverschwendung! Später in der Beilagenredaktion der Süddeutschen Zeitung guckten sie anfangs recht skeptisch, aber bald ging es. Ich war dann einfach dabei. Ich habe mich nie abschrecken lassen, wenn was schief gegangen war. Zur Not habe ich das mit dem Betriebsrat diskutiert, und dann ging’s weiter.

    Sie wurden selbst während Ihrer DJS-Ausbildung schwanger. Konnten Sie trotzdem bei allem mitmachen?

    Ja klar. Unsere Tochter wurde vor unserer Abschlussfahrt nach Budapest geboren und ich bin mitgefahren, weil Familie und Freunde, vor allem aber mein Mann, sie in der Zeit umsorgt haben. Er konnte als Sozialwissenschaftler auch später tageweise von zu Hause aus arbeiten.

    Sie haben auch viele Sachbücher geschrieben. Wie kam es dazu?

    Ja, über 20, und Übersetzungen dazu. Als ich mit unserem zweiten Kind schwanger war, kam eines Tages eine Scout-Frau auf mich zu. Sie hat mir angeboten, für ihr Projekt zu schreiben. Es sollte ein Baby-Buch werden, weswegen ich ja prädestiniert für den Job sei. Das Material habe sie bereits gesammelt, es handle sich um „reine Fleißarbeit“: Ich sollte nur noch rasch alles zusammenschreiben. Meine erste Reaktion war: Ein Baby-Buch, och, naja… Aber sie hat mir ein Honorar von 3.600 D-Mark angeboten, das war damals für mich viel Geld. Naiv, wie ich war, hab ich’s gemacht.

    Wieso waren Sie naiv?

    Weil ich von Urheberrecht keine Ahnung hatte. Wie sich später herausstellte, hatte sie zwar einen regulären Verlagsvertrag, ich aber wurde mit dieser Pauschale abgefunden. Heutzutage heißt das Buyout. Später wurde ein Taschenbuch produziert, ohne mir Bescheid zu geben. Eine Mutter aus der Krabbelgruppe sprach mich darauf an: Du, ich lese gerade dein Baby-Taschenbuch. Meine überraschte Reaktion: Sowas habe ich doch nie geschrieben! Das Taschenbuch bestand aus dem zweiten Teil des Originals, wobei es um die Zeit nach der Geburt ging. Und diese Frau, die mich angeheuert hatte, hatte auf dem Cover groß ihren Namen platzieren lassen. Weiter unten stand ganz klein: von Lore Schultz-Wild. Im Text hatten sie herum gefuhrwerkt, wodurch Fehler entstanden sind. Das Buch enthielt unter anderem falsche Informationen übers Impfen – nicht nur peinlich für mich als Autorin, sondern echt gefährlich für die Babys.

    Sie wurden also betrogen. Die Herausgeberin hat Geld mit Ihrer Arbeit gemacht, ohne Sie zu informieren, geschweige denn am Gewinn zu beteiligen. Wie haben Sie reagiert?

    Erstmal habe ich mich natürlich aufgeregt. Zum Glück war ich schon in der Gewerkschaft (damals ,Druck und Papier’, heute Verdi), die mir Rechtsschutz in Gestalt eines hervorragenden Urheberrechts-Professors in Berlin vermittelt hat. Dann haben wir gemeinsam den Verlag und diese Frau in die Pfanne gehauen. Sie war eine hemmungslose Betrügerin, auch dem Verlag gegenüber. Es wurden Lizenzen nach Portugal, Spanien und Italien verkauft; mein gesamter Text wurde unter anderem ins Spanische übersetzt und erschien dort als pompöser Doppelband. Alle Honorare musste mir der Verlag nachzahlen; er hat sie aber natürlich von der Herausgeberin zurückgeholt und ihr „geistiges Hausverbot“ erteilt. Ich habe auch daraus eine positive Erfahrung ziehen können: Trotz und wohl auch wegen meiner Klage wollte der Verlag weiterhin mit mir – jetzt als ausgewiesener „Expertin“ – zusammenarbeiten. Seither habe ich immer zu anderen Journalistinnen gesagt: Du musst dich wehren, verdammt nochmal! Mehr Selbstachtung! Das stärkt dein Selbstbewusstsein und fördert letztlich dein Ansehen. Genau das habe ich auch versucht, meinen Töchtern beizubringen: Nie klein beigeben!

    War das einer Gründe, warum Sie sich später in der Gewerkschaft und im Verband deutscher Schriftsteller engagiert haben?

    Für mich war es schon vorher naheliegend, dass ich mich als Freie gewerkschaftlich engagiere. Denn: Gemeinsam sind wir stärker. Wenn man so freiberuflich vor sich hinarbeitet, ist das einerseits Selbstschutz und gleichzeitig kann man einiges für andere tun – das ist auf alle Fälle richtig.

    Sie haben 30 Jahre lang die Beilage ,Jugend und Berufswahl’ der SZ betreut. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

    Das war sozusagen mein einziges ,festes’ Ding. Die mehr oder weniger umfangreiche Beilage erschien bis zu viermal im Jahr. Mit den Anzeigen hatte ich nichts zu tun, meine Themen waren angesiedelt zwischen Bildung und Wirtschaft. Ich habe die Zeit genossen, obwohl ich mir meine technische Weiterbildung zu Beginn der digitalisierten Redaktionssysteme hart erkämpfen musste. Besonders spannend wurde es, als die Mauer fiel und die Journalistinnen und Journalisten aus der DDR zu uns kamen.

    Inwiefern waren die Journalist*innen aus dem Osten anders als die aus dem Westen?

    Sie waren in beruflicher Hinsicht wesentlich emanzipierter. Da gab es ausgezeichnete Autorinnen, die ich mir mit an Bord geholt habe. Sie fanden es toll, dass sie im Westen publiziert wurden, und ich fand es gewinnbringend, dass sie ,östliche’ Sichtweisen und Erfahrungen hier eingebracht haben. Für diese Frauen war es viel selbstverständlicher, dass sie auch ihre eigenen Berufspläne verfolgten. Sie waren längst über die in der BRD verbreitete Auffassung hinaus, dass die Frau selbstlos ihrem Mann den Rücken zu stärken hat, damit der seine muffige Karriere machen kann. Das partnerschaftliche Verhältnis auf Augenhöhe finde ich nach wie vor entscheidend.

    Das Gespräch führte Julia Meidinger.