Karl-Otto Saur war 1971 Schüler der zehnten Lehrredaktion. Nach der Ausbildung fing er in der Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung an. Nach drei Jahren übernahm er die Leitung der „Redaktion Hörfunk und Fernsehen“, der Medienseite, die er von 1975 bis 1989 leitete. Später ging Saur kurzzeitig zum Spiegel, 1992 machte er sich selbstständig. Während der Zeit bei der Süddeutschen Zeitung unterrichtete er an der DJS Feuilleton. Ein Gespräch über die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Beschwerdebriefe und seinen Vater.
Herr Saur, Sie haben 20 Jahre als Journalist gearbeitet, bevor Sie sich 1992 selbstständig gemacht haben. Welches politische Ereignis war in dieser Zeit besonders prägend für den Journalismus?
Karl-Otto Saur: Noch während der Journalistenschule war der Regierungswechsel von 1969 ganz entscheidend. Damals kam unter Willy Brandt die erste SPD-geführte Bundesregierung. Ich behaupte immer noch, die Wahlnacht von ‘69 war das spannendste Fernsehprogramm, was ich in meinem Leben je gesehen hab. Das war das Ende der Adenauer-Zeit, ein politischer Aufbruch. Es hat die Intellektuellen des Landes mit dem Staat ausgesöhnt. Und natürlich hat sich die sozialliberale Regierungszeit auch auf den Journalismus ausgewirkt. Vorher war alles langsamer, ein bisschen reaktionärer, ein bisschen vorsichtiger und auch ein bisschen höflicher. Das hat sich danach geändert.
Ihr Vater Karl-Otto Saur war zur Zeit des Nationalsozialismus Staatssekretär im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Darüber haben Sie gemeinsam mit Ihrem Sohn Michael Saur ein Buch geschrieben. Hat das Erbe Ihres Vaters Sie auch in Ihrer journalistischen Tätigkeit beeinflusst?
Ich würde sagen, es hat mich angetrieben. Auf der Medienseite hatten wir weitgehende inhaltliche Freiheit. Das habe ich genutzt – und alles, was mit der Aufarbeitung des Dritten Reichs zu tun hatte, größer angekündigt. Ein gutes Beispiel war 1975 die Ausstrahlung der vierteiligen Mini-Serie „Holocaust“ aus den USA. Darin wird die Geschichte des Dritten Reichs am Beispiel einer deutschen jüdischen Familie erzählt. Und auf der anderen Seite stand ein junger Mann, der zum überzeugten Nazi wurde. Eine Reihe von Verantwortlichen in der ARD wollten die Serie zunächst nicht ausstrahlen, angeblich sei sie zu verkitscht gewesen. Tatsächlich wurde die Ausstrahlung dann ein großer Erfolg und sorgte für große Betroffenheit. Begleitend zu der Ausstrahlung, die über vier Tage ging, haben wir in der Zeitung ein Programm zusammengestellt, jeden Tag einen Beitrag zu der Serie gemacht und die Leser dazu aufgefordert uns zu schreiben. Das würde man heute unter objektiven Gesichtspunkten als journalistische Kampagne bezeichnen. Aber uns war dieses Medienereignis so wichtig, dass wir das einfach gemacht haben. Zu meiner Befriedigung habe ich über die Jahre auch so manche Beschwerdebriefe bekommen. Meist mit dem Tenor, ob ich nicht mal mit dem alten Nazi-Scheiß aufhören könne.
Wie haben Sie die Aufarbeitung des Nationalsozialismus im Journalismus selbst erlebt?
Natürlich gab es auch bei uns Journalisten, die bereits im Dritten Reich Karriere gemacht hatten. Es gab damals beispielsweise eine große Wochenzeitung, die Christ & Welt, deren Chefredakteur Giselher Wirsing war ein alter Nazi. Das war bekannt, aber man hat darüber hinweggesehen. Auch bei der Süddeutschen Zeitung gab es ein paar alte Nazis. Ein sehr problematischer Fall war beispielsweise W. E. Süskind, der sich, wenn man sehr moralisch ist, nichts hat zu Schulden kommen lassen. Aber er hat während der Nazi-Zeit Artikel geschrieben, die höchst peinlich waren. Später wurde er leitender Redakteur bei der Süddeutschen und war hoch angesehen. Keiner von uns wagte, auf seine frühere Rolle hinzuweisen.
Wie beurteilen Sie das heute?
Die Aufarbeitung der Nazi-Zeit ist eigentlich immer eine Geschichte von Einzelnen gewesen. Auch mir wurde öfters vorgeworfen, dass die Zeitung mit ihren eigenen Leuten rücksichtsvoll umgeht, aber bei anderen immer das Negative sieht. Summa Summarum finde ich aber, dass sich beispielsweise die Süddeutsche im Vergleich zu anderen Zeitungen einigermaßen anständig aus der Affäre gezogen hat. Grundsätzlich war man offen für eine kritische Auseinandersetzung, aber man war auch froh, wenn man es vermeiden konnte. Aber heute zeigt sich ja eher deutlich, dass man allen Grund gehabt hätte, die Auseinandersetzung kritischer zu führen.
Das Interview führte Leonie Schlick.