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  • Gisela Mahlmann

    „Du musst näher an die Wahrheit kommen“

    Gisela Mahlmann beginnt 1966 die Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule mit einem klaren Ziel: China­korres­pondentin werden. Nach Besuch der fünften Lehr­redak­tion geht es aber erstmal nach Baden-Baden zum Südwestfunk. Dort macht sie eine TV-Reihe über China und lernt Chinesisch. 1980 wird sie „Tages­themen“-Moderatorin. Acht Jahre später ist es dann soweit: Sie geht für sechs Jahre als ZDF-Korres­ponden­tin nach Peking und erlebt dort unter anderem die Studen­ten­pro­teste. Am Vorabend unseres Telefon­inter­views hat sie ein Paket von einer chinesi­schen Freundin erhalten. Darin: 500 Masken.

    Frau Mahlmann, wie sind Sie zum Journalismus gekommen?

    Gisela Mahlmann: Die Entscheidung, Journalistin zu werden, ist eigentlich ein reiner Zufall gewesen und nur dem Glück zu verdanken, dass man in meiner Generation erst mit 21 Jahren volljährig wurde.

    Ein Zufall?

    Ich wurde als Achtzehnjährige aus der Schule rausgerissen, weil mein Vater für vier Jahre als Militärattaché an die deutsche Botschaft in Indien versetzt wurde. Ich habe vergeblich protestiert, wollte erst noch mein Abitur in Deutschland machen. Ich wollte nämlich Medizin studieren und hatte schon mein Praktikum im Krankenhaus hinter mir. In Indien habe ich mich dann gefragt, was tue ich denn nun hier? Ich habe mich dann entschieden, in Delhi an der Uni indische und ostasiatische Geschichte zu studieren. Damals bekamen wir mit fünf Tagen Verspätung die Luftpostausgabe der Welt und da stand eines Tages drin: „Bomben auf Delhi“. Es fand gerade ein indisch-pakistanischer Grenzkrieg statt, aber es war überhaupt keine Bombe auf Delhi gefallen. Die nächste Bombe war in Amritsar gefallen – das ist 250 Kilometer von Delhi entfernt. Das hat mich so aufgeregt! Da habe ich mir gesagt: Das musst du mal anders machen. Du musst näher an die Wahrheit kommen. Und wie ich dann auf der Journalistenschule war und wir uns im Kollegenkreis gegenseitig vorstellten, sagte ich: Ich will Asienkorrespondentin werden. Da haben die anderen sich innerlich nur kaputt gelacht.

    Wieso?

    Ich habe vor einigen Jahren zum ersten Mal wieder eine Kollegin von damals getroffen und die sagte mir: „Wir haben über dich nur gelacht. Du warst so ein schüchternes Mädchen und dann sagst du, ‚Ich will Asienkorrespondentin werden’. Tja, so ist es manchmal.

    Wie haben sie denn die Zeit an der DJS in Erinnerung?

    Das war eine hervorragende Ausbildung. Ich habe das nur in positiver Erinnerung. Ich hatte das Glück, damals in der Klasse zu sein, die von der Süddeutschen Zeitung betreut wurde. Die Redakteure sind unsere Arbeiten präzise durchgegangen und haben einen auch zerpflückt. Und Zerpflücken ist ja das Beste, um was zu lernen.

    Welche Ereignisse waren für Sie persönlich prägend in Ihrer journalistischen Laufbahn?

    Was mich lange nicht losgelassen hat, sind die Begegnungen, die ich in China hatte. Die kritischen Themen konnte man ja nie offiziell bearbeiten. Man musste sich sehr viele Tricks ausdenken, um irgendwo zu drehen, und ein anderes Thema vorgeben, für das man ein bisschen dreht, weil man in der Gegend jemanden hat, über den man eigentlich berichten will. Und da habe ich unter anderem mal eine Arbeit über die Ein-Kind-Politik gemacht. Dafür habe ich mit Frauen gesprochen, die noch im siebten Monat zur Abtreibung gezwungen worden waren. Solche Dinge gehen einem schon sehr nahe. Und nie zu vergessen ist natürlich die ganze Tian’anmen-Geschichte.

    Gab es da Begegnungen, die ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

    Was mich besonders bewegt hat, ist die Geschichte eines chinesischen Studenten. Der verkaufte T-Shirts mit der Göttin der Demokratie. Und der sagte mir: „Ich finde es so toll, dass ihr der ganzen Welt sagt, was hier los ist. Wenn du willst, rufe ich dich jeden Tag an und sage dir, was ich so mitkriege.“ Ich habe seinen Namen nie erfahren. Er war mein T-Shirt-Mann und hat mich immer abends im Büro angerufen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Das war eine Zeit, in der man viele Bekannte und Freunde verloren hat.

    Wie haben Sie selbst denn den 4. Juni 1989 erlebt?

    Am 3. Juni war ich bis kurz vor Mitternacht mit dem Fahrrad unterwegs und habe dann noch einen Bericht gemacht für die 19-Uhr-Sendung in Deutschland. Als dann nachts die Panzer kamen, war ich keine Augenzeugin. Man kann vielleicht auch sagen: Gott sei Dank.

    Bevor Sie beim ZDF Chinakorrespondentin wurden, arbeiteten Sie für den Südwestfunk und wurden 1980 „Tagesthemen“-Moderatorin – als zweite Frau nach Barbara Dickmann. In einem Artikel der Zeit von 1980 sagte Dickmann, dass ihr ihre Berufung „ein bisschen Angst“ gemacht habe, „weil Frauen in der Öffentlichkeit noch keine politische Glaubwürdigkeit haben“. Wie war das damals für Sie?

    Ich hatte für mich eigentlich nie das Gefühl, dass Frauen in der Öffentlichkeit als politische Berichterstatterinnen noch nicht ernst genommen werden, denn ich hatte ja vorher auch schon politische Berichterstattung im Hörfunk und im Fernsehen gemacht.

    Haben Sie Diskriminierungen als Frau erlebt?

    Ja, im Grunde schon. Ich war als Freie beim Südwestfunk und man hat mir gesagt, dass ich die nächste freie Stelle bekommen würde. Und dann kamen auf einmal ein Mann und noch ein Mann und die kriegten alle eine feste Stelle. Und dann wurde mir von einem Chef doch glatt gesagt: „Ja, aber die sind doch Männer. Die müssen noch eine Frau mitversorgen.“ Ich habe gesagt: „Entschuldigen Sie mal, die haben eine Frau, die sie im Notfall mitunterhalten kann. Ich bin alleine. Was ist das hier?“ Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Das waren schon Kämpfe. Da war politischer Journalismus noch fast eine reine Männerdomäne. Diese Zeiten sind Gott sei Dank lange vorbei. Heute sollte man eher in allen Bereichen Männerförderung betreiben, sage ich aus der Erfahrung einer Drei-Söhne-Mutter.

    Das Interview führte Jonas Lages.