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  • „In Brüssel war ich in ein Waffeleisen aus Fachthemen gepresst”

    Cornelia Bolesch, zehnte Lehrredaktion, begann ihre Karriere nach der Journalistenschule beim Spandauer Volksblatt. Dann wechselte sie zur Süddeutschen Zeitung, der sie bis zum Ruhestand treu blieb. Erst bei der Medienseite, später als Korrespondentin in Hamburg und Brüssel. 2004 erhielt sie die bayerische Europa-Medaille, die ihrer Meinung nach wie “Konfetti gestreut wird”. Ein Gespräch über Medienumbrüche, Rechtsextremismus und das europäische Grundrauschen.

    Gemeinsam mit Ihrem Kollegen Karl-Otto Saur (zehnte Lehrredaktion) haben Sie die Medienseite der Süddeutschen Zeitung aufgebaut. Was war damals das besondere an dieser Seite?

    Cornelia Bolesch: Die Seite gab es damals noch nicht lange. Es war recht ungewöhnlich, dass man vom klassischen Zeitungsmedium aus andere Medien – also Fernsehen und Hörfunk – beurteilt hat. Als wir anfingen, war die Medienwelt gerade im Umbruch. Bis dahin gab es nur die klassischen öffentlich-rechtlichen Medien, jetzt kamen die privaten hinzu. Das sorgte für heftige Debatten, in denen wir das öffentlich-rechtliche System meist verteidigten. Vor allem die Verleger hatten großes Interesse am privaten Fernsehen und der Chefredakteur stand unter dem Druck der Verleger. Wir sind direkt in diese Konfrontation reingekommen, und so wurde unsere Medienseite, die anfangs klassisch Fernsehkritiken und Porträts beinhaltete, immer politischer.

    Nach über 15 Jahren haben Sie sich dann entschieden, als Korrespondentin für die Süddeutsche Zeitung nach Hamburg zu gehen. Wie haben sie diese Zeit in Erinnerung?

    Hamburg war für mich als Journalistin sehr prägend. In dieser Zeit stieg die Fremdenfeindlichkeit extrem an. Eine Welle von Anschlägen auf Asylunterkünfte machte sich breit. Der Brandanschlag in der Kleinstadt Mölln in Schleswig-Holstein war dabei ein Fanal. Dort haben zwei rechts gesinnte junge Männer zwei Häuser angezündet und mehrere türkische Bewohner sind gestorben. Wenn ich morgens noch im Bett lag und im Deutschlandfunk nur das Wort „Asylbewerberheim“ hörte, stand ich schon aufrecht und dachte: „Bitte, bitte nicht wieder in meinem Berichtsgebiet.“ Das klingt vielleicht etwas makaber, aber es hat mich extrem belastet. Sowas wie die Corona-Geschichte haben wir alle noch nie erlebt. Aber Fremdenfeindlichkeit war bereits damals sehr, sehr virulent!

    In Brüssel war es Ihnen ein Anliegen, möglichst viele Hintergründe zu erzählen. Welchen Anspruch hatten Sie an Ihre Berichterstattung als EU-Korrespondentin?

    Ich bin der Meinung, dass man über Europa regelmäßiger berichten muss und dieses europäische Grundrauschen festhalten sollte. Viele Leute wissen gar nicht, wie Europa oder die Europäische Union funktioniert. In Brüssel kriegt man das sofort mit. Das ist ein ständiges Arbeiten und Arbeiten und Arbeiten. Wie in einem Maschinenraum. Und ich bin der Meinung, eine Zeitung müsste in der Lage sein, genauso über die Europäische Union zu berichten, wie man auch über die deutsche Politik informiert. Eine Grundinformiertheit kann man über Europa nur hinkriegen, wenn man regelmäßig über das Parlament berichtet. Es reicht meiner Ansicht nicht, europäische Themen überall irgendwo zu verteilen. Es braucht eine eigene Europa- Seite. Es braucht Europakolumnen, Reportagen, Porträts und Hintergrundstücke. Eine Berichterstattung, die auch emotional ist.

    Ist Ihnen die gelungen?

    Leider nicht so, wie ich es mir vorstellte. In Brüssel war ich in ein Waffeleisen aus unterschiedlichen Fachthemen gepresst. Als Korrespondentin betreut man das gesamte Kaleidoskop der Fachthemen. Ich hatte Agrarpolitik. Später kam die Asylpolitik, dann die Umweltpolitik hinzu. Das ist natürlich auch das Spannende in Brüssel. Aber über die Jahre hinweg war das eine unglaubliche Anstrengung, weil man sich ja auch in die ganzen Fachthemen reinarbeiten muss. Wir waren zunächst nur zu zweit, später kam ein dritter Kollege hinzu. Wir eilten von Ministerkonferenz zu Ministerkonferenz und steckten in einem Schraubstock aus Nachrichten. Dieses strukturelle Problem in der Europa-Berichterstattung konnte ich nicht lösen.

    Waren Sie als Frau in Brüssel mit besonderen Herausforderungen konfrontiert?

    Der politische Journalismus war extrem männerdominiert und es kam zum Teil zu grotesken Szenen. In Brüssel lief damals wirklich viel über Seilschaften. Jeder Pressesprecher hatte seine Leute. Ein Pressesprecher informierte, man stellte sich zu der Gruppe aus Männern hinzu und merkte plötzlich, dass sie verstummten. Man wurde als Außenseiterin betrachtet. Das habe ich als sehr störend und kindisch empfunden.

    Wie sind Sie dennoch an Ihre Informationen gekommen?

    Ich habe mich mit Journalistinnen zusammengetan, die ähnliche Empfindungen hatten. Was in Brüssel damals wie heute sicher wichtig ist, sind die Hintergrundgespräche. Frauen haben immer Schwierigkeiten gehabt, dort überhaupt reinzukommen. Gemeinsam mit einer Kollegin vom Spiegel habe ich einen reinen Frauen-Hintergrundkreis aufgebaut. Es gab damals gerade einen politischen Schwung in Brüssel, denn einige mittel- und osteuropäischen Staaten waren der EU beigetreten. Gerade die baltischen Staaten haben sehr viele weibliche Kommissare geschickt. Und die sind sehr gerne zu unseren Treffen gekommen. Wir haben natürlich nicht nur Frauen zum Gespräch eingeladen. Gruppendynamisch sind für mich reine Frauengruppen genauso unglücklich wie reine Männergruppen. Im Idealfall wäre es einfach eine gute Mischung.

    Das Interview führte Sophia Hubel.