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  • Christine Westermann

    „Die Frauen waren schmückendes Beiwerk”

    Einfach sie selbst sein – knapp 50 Jahre Journalismus, Moderationen bei „Das Literarische Quartett”, „Zimmer frei” und „Drehscheibe” sowie Stationen bei Zeitungen und Radio dauerte es, bis Christine Westermann „die Westermann” verstand und akzeptierte. Eigentlich wollte sie nach ihrer Ausbildung in der siebten Lehrredaktion an der Deutschen Journalistenschule zum Hessischen Rundfunk, der habe damals aber laut DJS-Sekretariat keine Frauen genommen. Ein Gespräch über die Qualitäten der zweiten Reihe, Merkels Blazer und Altersgelassenheit.

    Wie war es für Sie damals, als Frau in den Journalistenberuf zu starten?

    Christine Westermann: Die Männer hatten das Sagen, aber das war so normal damals, dass man sich nicht weiter Gedanken darüber gemacht hat. Vor dem Abi war ich beim Mannheimer Morgen als freie Mitarbeiterin, mir fällt keine Frau aus der Lokalredaktion ein. Stattdessen erinnere ich mich an sehr engagierte Sekretärinnen. Nach der Journalistenschule habe ich ein Volontariat beim ZDF absolviert. Die Chefs waren Männer, die Frauen waren schmückendes Beiwerk, sahen vor allem schön aus beim Moderieren. Es kam einer kleinen Revolution gleich, als beim ZDF mit Ulrike von Möllendorf das erste Mal eine Frau Studioredakteurin wurde. Mir ist erst in der Rückschau klar geworden, wie selbstverständlich sich die Frauen stets hinten angestellt haben. Und eins vorrücken konnten, wenn sie den Kontakt zum Chef „intensiviert” haben. Wer mit ihm ins Bett ging, kam schneller voran. Ich fand das unfair, aber ich habe mir keine großen Gedanken darüber gemacht.

    Was war für Sie die prägendste Zeit als Journalistin?

    Zum ersten Mal beim Radio zu arbeiten, war prägend. Ich war in den 70er-Jahren Moderatorin bei SWF3, dem ersten Magazinsender überhaupt. Bei den Live-Sendungen die Aufregung aus der Stimme zu kriegen, war schwierig. Und die coolen Männer, die damals im gleichen Studio saßen. Claus Kleber, Frank Plasberg, Andreas Ernst. Dazu eine, die einfach nur großartig war: Anke Engelke, die vom damaligen SWF3-Chef Peter Stockinger als Talent erkannt und gefördert wurde. Ich dazwischen mit Zitterstimme und dazu die strenge Ansage von Stockinger: „Mensch Westermann, Sie müssen endlich mal Ihr Herz über die Mauer werfen!” Heute weiß ich, was er gemeint hat: Dass ich nur so sein muss, wie ich bin. Nicht versuchen, andere zu kopieren, so souverän, locker sein zu wollen wie Engelke oder Plasberg. Christine Westermann zu sein, hätte völlig gereicht. Dazu ist es bei SWF 3 aber nicht mehr gekommen, weil ich vorher gefeuert wurde.

    Inwiefern waren Sie unsicher?

    Weil man erstmal lernen muss. Auch und vielleicht besonders durch Niederlagen. Als ich bei der „Drehscheibe” anfing zu moderieren, war ich gerade mal 22, hatte keine Ahnung wie das geht, vor und mit einer Kamera. Angeblich hat dann der Intendant selbst beim Abteilungsleiter angerufen und gesagt: „Nehmt das Kind vom Sender, die sieht aus wie ein Kalb, wenn’s donnert.” Das ist jetzt 50 Jahre her, Zeit genug, um meine Angst gänzlich zu verlieren. Ich hab lange mit Frank Plasberg zusammengearbeitet. Wir haben beide gut voneinander gelernt. Er ist mehr Verstand, ich bin mehr Gefühl. Wir haben uns wunderbar ergänzt und wunderbar gefetzt. Vor und hinter der Kamera. Erst nach vielen Jahren hat sich ganz langsam herausgeschält, was ich gut kann. Gute Texte schreiben und gute Interviews machen. Als ich den „Deutschen Radiopreis“ für das beste Interview bekam, war ich, glaube ich, schon sechzig.

    Kennen Sie diese Selbstzweifel auch von Männern in der Branche?

    Nein. Nein. Nein. Ich glaube, Frauen machen sich kleiner und sind zaghafter. Moritz von Uslar hat mal ein Porträt über mich in der ZEIT gemacht. Ich habe mir vorher überlegt: Was ziehe ich an? Würde das ein Mann tun? Nein, da steht die übliche Verkleidung vermutlich lange vorher fest: Hose, T-Shirt, Jackett. Ich habe ein Kleid mit Blumenmuster angezogen, weil ich mich darin wohlgefühlt habe. Was passiert? Am Anfang des Artikels beschäftigt er sich mit diesem Blümchenkleid. Hätte von Uslar bei einer Reportage über Peter Altmaier 20 Zeilen verschwendet, um sich Altmaiers knallrosa Krawatten zu widmen? Nein, aber es hat mindestens vier Jahre gedauert, bis man endlich aufgehört hat, sich über die Blazer von Angela Merkel zu echauffieren. Ich kann diese Frau so unglaublich gut verstehen, weil ich weiß, wie wichtig Wohlfühlklamotten sind, wenn man in der Öffentlichkeit steht.

    Wieso haben Sie nie aufgehört?

    Weil es nicht einfach nur ein Beruf ist, sondern ein großes Stück Leben. Lust. Stille Leidenschaft. Und jetzt, fast sechzig Jahre nach der ersten Bildunterschrift für den Mannheimer Morgen, mache ich endlich alles mit großer Leichtigkeit. Ich kann es besser – das wusste ich schon in der „Drehscheibe“ oder bei SWF3. Ich wusste nur noch nicht, wie’s geht. Das hat auch bei „Zimmer frei“ eine Weile gedauert. Die erste Kritik nach der ersten Sendung war eine Kurzkritik in einer Kölner Boulevardzeitung: „Götz Alsmann: brillanter Musiker, genialer Entertainer. Christine Westermann: bieder, hausbacken, ‚Drehscheibe‘ eben.” Also schlimmer kann’s nicht kommen. Aber wenn man neben einer Rampensau wie Götz Alsmann moderiert, ist es gut, wenn man in der zweiten Reihe steht. Und einfach bei sich bleibt, bei Christine Westermann. Das habe ich irgendwann gemerkt und es hat sich ausgezahlt. Es hat allerdings gedauert.

    Das Interview führte Marlene Knobloch.