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  • Götz Aly

    „Wir waren umstellt von der Nazi-Generation“

    Götz Aly war 1967 und 1968 in der sechsten Lehrredaktion auf der Deutschen Journalistenschule, Jahre, die ihn bis heute umtreiben. Nach der DJS wurde er zunächst nicht Journalist, sondern Student und Maoist, ein richtiger 68er also. Nach dem Studium gab er das Revoltieren wieder auf und schrieb für die taz und die Berliner Zeitung, für die er heute noch arbeitet. Als Historiker schreibt er über die Nazizeit und – natürlich – über die 68er Bewegung. In seinem umstrittenen Buch „Unser Kampf“ distanzierte sich Aly von den 68ern und bezeichnete sie als „Hitlers Kinder“. Götz Aly liebt steile Thesen. Hat er das an der DJS gelernt?

    Herr Aly, Sie waren in den Jahren 1967 und 1968 auf der DJS. Waren Sie damals schon ein richtiger 68er?

    Götz Aly: Wir waren alle irgendwie links. Ich trug damals einen Mao Tse-Tung-Knopf. Als ich bei der Münchner Abendzeitung mein Volontariat machte, habe ich vor dem Gebäude Flugblätter verteilt. Aber ein richtiger 68er wurde ich erst nach der Journalistenschule. Ich bin ja direkt nach dem Abitur auf die Schule gekommen. Wir wurden dort als Nachwuchselite des Spitzenjournalismus behandelt. Wir bekamen Besuch von allen möglichen Chefredakteuren und am Schluss gab es eine Reise nach Genf, in das Hotel, in dem später Herr Barschel sein Ende gefunden hat. Die Reise war für damalige Verhältnisse bonfortionös. Die Chancen, die sich mir mit der Journalistenschule eröffnet haben, habe ich allerdings nicht ergriffen, weil ich den 68er Umweg genommen habe.

    Was hat Sie 1968 denn so beschäftigt? Außer Mao Tse-Tung.

    Ich habe wilde Sachen geschrieben und die wurden dann in der Münchner Abendzeitung gedruckt. 1967 und 68 gab es einen Strudel um den Tod von Benno Ohnesorg und das Attentat auf Rudi Dutschke. Die gesellschaftliche Öffnung geschah damals wahnsinnig schnell. 1966 hat man sich als Student noch gesiezt. Aber auch 1968 waren wir noch umstellt von der Nazi-Generation. Der damalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Hermann Proebst, hat während der NS-Zeit das Konzentrationslager Jasenovac verherrlicht. Auch der damalige Leiter der Journalistenschule, Franz Hugo Mösslang, ist ein NS-Journalist gewesen (Mösslang arbeitete während der NS-Zeit für Signal, eine Propagandazeitschrift für das besetzte Europa, d. Red.).

    War Ihnen das damals bewusst?

    Wir haben das nicht richtig begriffen. Das kam erst sehr viel später. Wir 68er waren die Kinder der 33er. Auf dem Gymnasium wurden wir völlig unvorbereitet in den Filmkeller geführt und kriegten die KZ-Filme vor die Nase gestellt. Kein Lehrer hat vorher etwas gesagt und hinterher etwas gesagt. Wenn man abends nach Hause kam und von den Filmen erzählte, dann erstarrten die Eltern. Im Zweiten Weltkrieg gab es neunzehn Millionen deutsche Soldaten. Jeder aus meiner Generation hatte einen Vater, der überlebt hat. Ihre Traumata haben sich natürlich auf uns übertragen. Unsere Proteste waren der Versuch, der deutschen Geschichte zu entrinnen. Das hat zu diesen Verrücktheiten geführt.

    Aber die 68er haben doch wichtige Veränderungen angestoßen.

    Wir waren die erste Generation, die sich so ein Protestgetue überhaupt leisten konnte. Die erste Generation, die so sehr im Luxus lebte, dass sie nicht geradeaus studieren musste. Natürlich waren die Frauenbewegung und die Grünen auch eine Folge der 68er Bewegung. Aber es gab damals auch eine mir heute ganz fremde Revolutionsgläubigkeit. Es wurde in einem sehr breiten linken Milieu über Gewalt gegen Sachen und Personen diskutiert.

    Zur Zeit hat ganz klar der Staat das Gewaltmonopol. Haben Sie Angst, dass die Corona-Verbote aus Deutschland einen autoritären Staat machen könnten?

    Nicht in der Bundesrepublik. Ich habe nichts dagegen, dass die deutsche Politik seuchenpolitische Maßnahmen ergreift. Was soll sie anderes machen? Es wird weitergehen, das Bundesverfassungsgericht ist ja da. Das war früher anders: In den 50er und 60er Jahren hat das Bundesverfassungsgericht fast nie gegen die Regierung entschieden. Es hat sich erst 1971 unter dem damaligen Präsidenten Ernst Benda emanzipiert. Zudem haben wir in Deutschland gerade wirklich gute Politiker. Da haben wir es besser als etwa Großbritannien, mit Politikern wie Boris Johnson. Finden Sie nicht?

    Doch. Ich bin froh, gerade in Deutschland zu sein. Aber auch hier bereitet die Corona-Krise Probleme. Angela Merkel hat sie sogar als die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Wie finden Sie diesen Vergleich?

    Sehr unpassend. Corona ist eine Herausforderung, der Zweite Weltkrieg mit 50 Millionen Toten und Deutschland als eindeutig Schuldigem war eine Katastrophe. Das kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen.

    Das Interview führte Alexander Gutsfeld.